Erinnerungen aus Marrakesch


Den Sommer einleiten und eine Auszeit nehmen, einfach mal abtauchen um anzukommen. Marokko liegt gerade einmal vier Flugstunden von Deutschland entfernt, fühlt sich jedoch viel weiter an. Wer hier aus dem Flieger steigt, findet sich in einer anderen Welt wieder. 

Es ist dieses Kribbeln, das mir sagt: Es ist Zeit, loszugehen. Den Alltag pausieren, Körper und Geist eine Auszeit geben und mit neuen Eindrücken versorgen. Eine Auszeit nehmen, um anzukommen. Irgendwo anders und bei mir. Je näher ein neues bevorstehendes Abenteuer rückt, desto größer ist der Drang, raus aus dem Alltag mit seinen Zwängen auszubrechen, den Horizont zu erweitern, das Gefühl totaler Gelassenheit zu empfinden. Ich will raus und spüren. Eine Stimmung, ein Lebensgefühl, Farben, Gerüche und die Fremde. Wer reist, wird schnell süchtig nach dem Spirit, den jedes Land seinen Weltenbummlern mit auf den Weg gibt; ich möchte den Marrakeschs kennenlernen.


Die Stadt der Gegensätze


Wer in der ehemaligen Hauptstadt des marrokanischen Reiches im Westen des Landes ankommt, findet sich in einem Ort der Gegensätze wieder. Zwischen Teezeremonien, duftenden Gewürzen, Schlangenbeschwörern und feilschenden Händlern tauchen jede Menge unerwartete Ruheoasen auf. Ob ein arabisches Dampfbad im Hammam, ein Tag in einem der tropischen Gärten oder ein spiritueller Ausflug in das Land der Berber ist magisch. An einem Ort, der wie die Kulisse von 1001 Nacht wirkt, lässt sich unsere westliche Welt völlig vergessen.


Die Faszination der Fremde 


Der erste Weg in Marrakesch führt auf den Djemaa El Fna. Es ist nicht nur der bekannteste Ort der Stadt, es ist auch einer der verrücktesten Plätze, die ich je gesehen habe. Im Zentrum der Medina, der Altstadt Marrakeschs, kommen während der frühen Abendstunden bis in die Nacht hinein Einheimische und Touristen zusammen, um zu essen, zu diskutieren, einzukaufen, anzupreisen, zu handeln und zu feiern. Auf dem Djemaa El Fna, der im Volksmund schlicht „la place“ genannt wird, trifft Geschichte auf pulsierendes Leben. Für den ein oder die andere Reisende:n aus der westlichen Welt kann La Place durchaus zum Kulturschock werden. Da hilft nur tief durchatmen, einen frisch gepressten Saft an einem der unzähligen Stände besorgen und sich ins Getümmel stürzen. Die Faszination der Fremde lässt sich hier in seiner gänzlichen Breite aufsaugen. Über dem Platz hängen Rauchschwaden und der Duft von rohem Fleisch. Beides kommt von den Grills, an denen Hungrige aus Fleischbergen ihr Abendessen wählen können, das frisch gebraten wird. Zwischen den Ständen mit Lebensmitteln, frischem Obst und Gemüse, Pflanzen und Kosmetika, sind immer wieder Menschentrauben zu sehen. In ihrer Mitte befinden sich nicht selten Schlangenbeschwörer, die gerade aus einem Märchen entsprungen zu sein scheinen. Affen werden an Ketten geführt, Märchenerzähler, Wahrsager, Schuhputzer und Wunderheiler versuchen Kunden anzulocken und ich entdecke einen Verkäufer, vor dem ein Tisch voller Zähne und Gebisse steht.


Eintauchen mit allen Sinnen


Dieser Ort ist nichts für schwache Mägen, empfindliche Nasen oder sensible Ohren. Dafür aber für Neugierige. Am Rande des Trubels sitzen einheimische Männer im Kreis und lauschen den Erzählungen eines Gleichgesinnten. Ab und zu nicken die Zuhörer emsig oder rufen etwas Unverständliches dazwischen. All’ die Menschen führen fort, was seit Jahrhunderten auf dem Djemaa El Fna getan wird. Dieser Platz ist seit je her das Zentrum kultureller Begegnung und ein Raum des Austauschs. Einst fand hier täglich der Transfer zwischen berberischen, arabischen und schwarzafrikanischen Kulturen und Traditionen statt. Hier wurden Waren und Sklaven gehandelt, Geschäfte abgeschlossen und Elfenbein gegen Stoffe getauscht. Einige Züge des längst vergangenen Treibens erahne ich noch heute. Wer achtsam durch den Trubel geht, sich umsieht, riecht, schmeckt, hört, fühlt und beobachtet, taucht in diese unvergleichliche Welt ein und wird von ihrer Magie umhüllt.


Die Magie liegt im Detail 


Achtsamkeit ist das Schlüsselwort. Nicht nur in Marrakesch; auf jeder Reise. Denn nur wer achtsam mit sich und seiner Umwelt umgeht, wird die wahre Schönheit entdecken, die in jedem und allem versteckt ist. So auch in den Souks von Marrakesch. Wie die Fäden eines Spinnengewebes erstrecken sich die kleinen Gassen in der Medina. Die Altstadt der nordafrikanischen Metropole ist wie ein Labyrinth aus mit Kopfsteinen gepflasterten, schmalen Wegen, die teilweise mit Schatten spendenden Tüchern überspannt sind und an dessen Rand hunderte Händler ihre Waren anpreisen. Diese riesige Basar-Landschaft erstreckt sich über eine Fläche, die Größer ist als 28 Fußballfelder und scheint zunächst wie ein undurchsichtiger Dschungel an Ramsch. Wer sich die Zeit nimmt, die Details ins Auge zu fassen, kommt mit Händlern ins Gespräch, probiert Gewürze aus einer fernen Welt und wird mit Sicherheit Teil einer der berühmten marokkanischen Teezeromonien.

Hier können die köstlichsten Oliven vernascht und handgemachte Einzelteile aus Leder, Stoff, Holz oder Metall geshoppt werden. Die besonderen Unikate sind so in unseren Gefilden kein zweites Mal zu finden, denn hier herrscht noch eine bewundernswerte Handwerkstradition, die zum Staunen einlädt und dessen Produzenten jede Menge Geschichten auf Lager haben.


Oasen der Ruhe 


Während die Fremde meinen Körper und Geist in Beschlag nimmt, scheint mein Alltag in einem anderen Universum Urlaub zu machen. Meine Neugier treibt mich durch die Straßen Marrakeschs. Ich bin auf der Suche nach den kleinen Oasen, die die sonst so wuselige, laute Stadt seinen Einheimischen und Gästen schenkt. Ich lande in einem Traum aus bunten Farben. Der Jardin Majorelle ist ein Garten des französischen Malers Jacques Majorelle. Yves Saint Laurent rettete einst dieses hübsche Fleckchen Erde vor der Verwilderung. Ich beginne zu verstehen, warum der Modeschöpfer das getan hat. Einmal durch das Eingangstor geschritten, verschwinden die Geräusche, die Gerüche und die Hektik Marrakeschs.


Die Kraft der Natur


Zwischen Palmengruppen und Bambushainen, Seerosenteichen, Orangenbäumen und Kakteenanlagen habe ich das Gefühl, Adam und Eva spazieren gleich um die Ecke, denn so stelle ich mir das Paradies vor. Weiches Licht, das durch sattgrüne Zweige fällt, plätschernde Springbrunnen und pfeifende Singvögel lassen Körper und Seele völlig zur Ruhe kommen. Wer Ruhe sucht, findet sie in Marrakesch ebenso in einem der vielen Hammams, an denen Reisende früher oder später vorbei kommen. Die traditionellen Badehäuser dienen als Wohlfühlort und Rückzugsraum. Wer hier her kommt, soll abschalten, entspannen und lernt nebenbei die marokkanische Badekultur hautnah kennen. Alltagsstress wird bei dem Baderitual buchstäblich weggeschrubbt. Ein perfekter Ort, um Sorgen, Ängste und Unruhe loszulassen, runter zu fahren und Kraft zu tanken. 



Eine Reise im Innen und Außen


An meinem letzten Abend in Marrakesch gehe ich auf das Dach eines Riads. Die Sonne geht gerade unter und taucht die Stadt in Orange-, Gelb und Rottöne. In der Ferne ruhen die Berge des Atlasgebirges, vor mir liegt der Djemaa El Fna, wo gehandelt, gegessen und erzählt wird. Auf einem Dach kämpfen zwei Katzen. Und dann ist er da; der wohl magischste Moment dieser Reise. In das unvergessliche Farbenspiel des Sonnenuntergangs und dem abendlichen Trubel der afrikanischen Metropole stimmen die Gesänge der Muezzine ein, die aus den umliegenden Moscheen zum letzten Gebet des Tages rufen.

Aus den kleinen Türmen um mich herum hallen aus allen Richtungen die arabischen Gesänge. Ich habe Gänsehaut. Man mag es kaum glauben: Hier, an diesem Ort, wo so viel los, es laut und hektisch ist, kehrt Ruhe ein. In mir. Im Norden Afrikas, wo alles anders ist als in der gewohnten westlichen Welt, fühle ich mich zufrieden, frei und bin ganz bei mir. Eine Reise im Äußeren ist immer auch eine Reise im Inneren. Und während die Sonne am Horizont verschwindet, die Stimmen der Muezzin verklingen, ich jede Sekunde in mir aufsauge, kann ich nicht anders als über das ganze Gesicht zu grinsen.

Raus aus dem Trubel der Stadt, rein in die Natur. Wer das wuselige Marrakesch für einen oder mehrere Tage hinter sich lässt, um in die umliegende Landschaft einzutauchen, wird mit atemberaubenden Ausblicken, einmaligen Einblicken und spirituellen Momenten belohnt. So zum Beispiel im Atlas-Gebirge. Am besten lässt sich das Land der Berber mit einem lokalen Guide erkunden. Dieser kennt sich bestens aus und hat jede Menge Geschichten auf Lager. Ali führt mich in die wunderschönen Täler von Ourika, Asni und Oukaimeden, vorbei an Wasserfällen und steilen Hängen. Er zeigt mir traditionelle Berberdörfer und erzählt von dem Leben dort. Wir essen bei einer Berberfamilie und genießen den Ausblick auf die schneebedeckte Kuppe des Mount Toubkal, den höchsten Gipfel Nordafrikas. Hier, mitten in der wilden Schönheit der Natur, kann ich durchatmen, abschalten und Kraft tanken.


Im Land der Berber

SCHLAFEN AUF ARABISCH

Wer in Marrakesch übernachtet, sollte darauf verzichten, in einem der modernen Hotels zu übernachten. In der Medina sind unzählige Riads zu finden, in denen Reisende stilecht im arabischen Ambiente beherbergt werden. Das Wort Riad bedeutet eigentlich „Garten mit Bäumen“ und steht in Marokko für die traditionellen städtischen Wohnhäuser mit begrüntem Innenhof. Einst lebten hier reiche Familien, heute träumen Urlauber von ihrem Märchen aus 1001 Nacht. 

GESCHMÄCKER AUS 1001 NACHT


Von der traditionellen Teezeromonie, über eine Vielzahl an Gewürzen bis hin zu Couscous, Tajine und Brochette - die marokkanische Küche ist ebenso vielfältig wie köstlich. In der Kochschule „Lotus Chef“ nehmen Einheimische ihre Gäste mitten in der Medina Marrakeschs mit auf eine kulinarische Reise. Die Kochschüler zaubern unter Anleitung ein traditionelles marokkanisches Menü und lernen nebenbei alles über die Esskultur des Landes. 

Abenteuer im Atlasgebirge
Abenteuer im Atlasgebirge
die Magie Marrakeschs
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stilecht übernachten im Riad
stilecht übernachten im Riad
das Land der Berber
das Land der Berber
die Altstadt Marrakeschs
die Altstadt Marrakeschs
wandern im Hinterland
wandern im Hinterland

die Flashpackerin


Mit dem Schreiben hat Pia Maack ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht. Mittlerweile kombiniert die studierte Journalistin die Arbeit an der Tastatur nicht selten mit ihrem ganz großen Hobby, dem Reisen. Wo die Grenze dabei zwischen Privatleben und Job verläuft, kann die Autorin nicht mehr sagen. Ob mit dem Rucksack oder im Bulli, allein oder mit ihren zwei liebsten Travelbuddies: Ihrem Mann und ihrem Sohn, die Welt ist ihr zu Hause.